Ernst Hirsch mit Redakteur Alfred Haese im flotten Wagen auf der Leipziger Messe 1955
Der Dresdner Kameramann Ernst Hirsch nimmt Sie mit auf seine Auto- und Schiffsreisen ab den 50er Jahren.
In einem neuen Kapitel seiner längst vergriffenen Autobiografie "Ernst Hirsch - Das Auge von Dresden", die "Leben50" exklusiv noch einmal veröffentlichen darf, nimmt uns der Dresdner Kameramann Ernst Hirsch mit auf seine Auto- und Schiffsreisen, die ihn weit über die Grenzen der DDR und der Bundesrepublik hinaus führten.
Autogeschichten
Zu Beginn meiner Tätigkeit für das Fernstudium konnte ich Aufträge in der Stadt Dresden und Umgebung noch mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln erledigen. Die Kameraausrüstung nahm jedoch bald an Umfang und Gewicht zu, sodass ein Auto beschafft werden musste. In den 1950er Jahren war das ein Problem, für mich natürlich auch wegen der Bezahlung. Den Führerschein überstand ich 1955 nach langer Wartezeit in der Fahrschule Herbert Ölsner auf der Pillnitzer Landstraße. Fahrpraxis erlernte ich auf einem DKW F8, bei dem die Gänge mit einer Art Spazierstock neben dem Lenkrad mit Zwischengas geschaltet werden mussten. Am 22. September 1955 erhielt ich nach erfolgreicher Prüfung den Führerschein, hatte aber kein Auto. Autos gab es nur nach längerer Wartezeit und zu hohen Preisen. Ein gebrauchtes Auto sollte es also sein und es fand sich 1957 in der Zeitung das Angebot: "Volkswagen Baujahr 1947" - zehn Jahre alt, schon aus der Nachkriegsproduktion, noch mit geteilter Heckscheibe und Seilzugbremsen. Der Vorbesitzer wohnte in Haldensleben. Das lag noch im Osten, aber nur wenige Kilometer vom VW-Werk in Wolfsburg entfernt. Durch die seinerzeit noch durchlässige Grenze herübergerollt, war das Fahrzeug unterdessen sehr abgenutzt. Der Verkäufer verlangte 5.550 Mark, die ich mir lieh, aber bald abbezahlte. Mit viel Mühe und Kosten machte ich den VW fahrbereit. Aus Westberlin besorgte ich Ersatzteile und Autolack, und bald strahlte er in Silberblau. Ich nutze das Auto vor allem privat, aber auch beruflich. Für Reportagefahrten fuhr ich bis nach Österreich, zu Aufnahmen von der Vierschanzentournee 1957/58, die der legendäre Skispringer Helmut Recknagel aus der DDR gewann.

Gemeinsam mit meiner Mutter unternahm ich Fahrten nach Thüringen und an die Ostsee. In Prag fotografierte ich mich mit Selbstauslöser auf der Karlsbrücke, die zu dieser Zeit noch von Autos befahren werden durfte. Unterdessen waren die Autobahnen für Radfahrer gesperrt worden, die Brücken wiederaufgebaut und der Verkehr nahm zu. So waren die Autofahrer meiner Generation eigentlich die ersten wirklichen Nutzer der Autobahnen, die im Krieg ja hauptsächlich militärischen Transporten gedient hatten. Am 1. Juni 1958 war meine "VW-Ära" plötzlich und unerwartet zu Ende! Es war der "Tag des Eisenbahners" in der DDR und ich sollte auf dem Führerstand einer Dampflokomotive mitfahren, um die Arbeit des Lokführers und des Heizers während der Fahrt aufzunehmen. So stieg ich in Bad Schandau mit der Kamera auf die Lok und mein Kollege Heinz Woost fuhr das Auto nach Dresden zurück. Auf der Landstraße zwischen Königstein und Pirna bog plötzlich vor ihm ein Lastwagen, ohne Zeichen zu geben, nach links in einen Feldweg ab, es kam zum Zusammenstoß. Zum Glück überlebte mein Kollege, aber das Auto war nur noch Schrott. Die Versicherung zahlt zwar einen geringen Zeitwert, aber woher ein neues Auto beschaffen? Ein Spediteur, der mit seinem Lastwagen auch die Gemälde der Dresdner Galerie 1955 von Berlin nach Dresden tranportierte und den ich bei Filmaufnahmen kennengelernt hatte, verkaufte mir ein besonders zusammengebautes Fahrzeug: einen Volkswagen mit F9-Karosserie - so half man sich damals. Im Kofferraum tuckerte der luftgekühlte 25-PS-VW-Motor und vorn unter der Motorhaube war nun anstelle des Motors der Kofferraum entstanden. So erfinderisch war man in der DDR.
Im März 1960 erhielt ich ein Angebot, dem ich nicht widerstehen konnte. Mein damaliger Zahnarzt, Dr. Schönherr aus Radebeul, fragte mich während der Behandlung: "Herr Hirsch, ich will mir einen großen amerikanischen Straßenkreuzer kaufen, wollen Sie nicht mein Auto kaufen?" Der angebotenen Wagen war ein BMW-Sportcoupé 327, in Eisenach 1955 aus noch vorhandenen Teilen zusammengebaut, die Karosserie stammte aus der berühmten Firma Gläser aus Dresden und war mit einem roten EMW Markenzeichen anstatt des blauen bayerischen BMW-Signets versehen. Das Auto war für mich eigentlich unbezahlbar. Dr. Schönherr nannte mir jedoch einen so außerordentlich günstigen Preis, dass es gewissermaßen ein "Schnäppchen" war. Bald war ich Besitzer eines für die damalige Zeit sehr seltenen Fahrzeugs in hochwertiger Ausstattung, mit roten Ledersitzen, Armaturenbrett aus Edelholz und dergleichen. Der Motor hatte zwei Liter Hubraum und leistete 55 PS, der Benzinverbrauch lag bei 14 bis 15 Litern auf 100 Kilometer. Mit einem besonderen Fußhebel musste aller 150 Kilometer die Zentralschmierung betätigt werden. Hinter den zwei Sitzen befindet sich ein geräumiger Kofferraum, in dem ich die Aufnahmeausrüstung verstauen konnte. Ich nutze das Auto beruflich, aber auch privat mit meiner Mutter und Freundin Gisela. Über 30.000 Kilometer bin ich damit gefahren. Dieses heute sehr seltene und wertvolle Fahrzeug hätte ich behalten sollen, denn es gibt nur noch wenige Exemplare von diesem Modell – aber wer denkt schon 50 Jahre voraus?
Für berufliche Fahrten nutzten wir anfangs den Opel-Kapitän meines Kollegen Heinz Woost, später stellte uns der DDR-Fernsehfunk einen F9 Kombi als Dienstwagen zur Verfügung. Wir legen im Jahr etwa 40.000 Kilometer in den südlichen Bezirken der DDR zurück. Die Autobahnen stammten noch aus der Vorkriegszeit, waren inzwischen abgenutzt, nach fast jeder Platte gab es einen Schlag, den man bis in den Rücken spürte. Auf den Landstraßen überall Schlaglöcher, und in der Lausitz, nach Bautzen und Görlitz fuhr man auf Kleinkopfpflaster aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Aber wir können es nicht anders. Später bekamen wir einen Wartburg-Kombi als Dienstfahrzeug.
Für Reportagen mit Tonaufzeichnung schickte das Fernsehzentrum aus Berlin einen besonderen Aufnahmewagen. Es war ein Kombi der Marke "Sachsenring", der ab 1958 in Zwickau nur für das DDR-Fernsehen gebaut wurde.
Zwei Techniker kamen mit diesem blau-weißen Auto aus Berlin, um eine Tonfilmkamera mit dem Namen "Auricon" nach Dresden zu bringen, mit der wir Gespräche und Konzerte aufnehmen konnten. 1965 hatte das Musical "My fair Lady" in der Dresdner Staatsoperette Premiere. Wir filmten Marita Böhme und Peter Herden in den Hauptrollen und machten zahlreiche Interviews, unter anderem mit dem Volkskammerpräsidenten Otto Buchwitz.

Als ich nach 1968 wieder freiberuflich tätig war, folgten im Laufe der Jahre zahlreiche Autos verschiedener Typen für berufliche und private Zwecke. Für den Transport der Filmgeräte genügte irgendwann ein Pkw nicht mehr. Um Werkhallen für Industriefilme auszuleuchten, mussten große Scheinwerfer und Kabel transportiert werden. Anfangs verstaute ich die Geräte in einem Kastenanhänger, dann musste ein Transporter vom Typ "Barkas" her. Neue Fahrzeuge dieses Typs gab es privat nicht zu kaufen. So kaufte ich bei der Handelszentrale für Gebrauchtfahrzeuge ein Schrottfahrzeug. Der Fahrzeugschein war die Voraussetzung für den Neuaufbau und die Zulassung. Von verschiedenen privaten Werkstätten ließ ich das Wrack aufbauen, dann besaß ich einen geräumigen Transporter, der allerdings mehr als ein Neuwagen gekostet hatte.

1985 importierte die DDR-Autohandelszentrale VW-Transporter. Auf Antrag erhielten Handwerker und kleine Privatbetriebe ohne längere Wartezeiten im Auslieferungslager Zwickau ein solches Fahrzeug. Ich bewarb mich und erhielt die Zusage. Bis 1989 nutze ich den Transporter beruflich. Bei unserer Ausreise 1989 konnten wir ihn mit in die Bundesrepublik nehmen. Mit diesem VW-Transporter brachten wir unser Umzugsgut auch 1993 wieder von München nach Dresden zurück. Über 200.000 Kilometer war er ein zuverlässiger Begleiter.
Schiffsreisen
Eine Seereise mit einem großen Passagierschiff war in den Jahren nach dem Krieg ein unerfüllbarer Traum. Dann entdeckte ich in einem Dresdner Reisebüro im Sommer 1958 ein verlockendes Angebot: "Mit dem rumänischen Schiff 'Transilvania' nach Ägypten". Als ich mit meiner Mutter darüber sprach, bestärkte sie mich und riet mir zu: "Versuche es doch!" In einer Vierbettkabine war noch ein Platz frei. Am 10. Oktober begann die Reise von Berlin aus mit der Eisenbahn. Die erste Station war Budapest mit Hotelübernachtung und Stadtbesichtigung. Die lange, aber eindrucksvolle Fahrt über die Karpaten bis nach Bukarest dauerte 22 Stunden. Dort folgten ebenfalls Übernachtung und Stadtbesichtigung. Im Hafen von Constanza am Schwarzen Meer liag das Schiff "Transilvania" zur Abfahrt bereit. Nach heutigen Maßstäben insgesamt nicht sehr komfortabel, ging es doch in der Vierbettkabine ziemlich eng zu. Keiner der Passagiere hatte bisher eine Schiffsreise gemacht, und wir waren voller Erwartungen. Einer der Mitreisenden hatte einen ganzen Koffer voller weißer Oberhemden und einen Gesellschaftsanzug mitgebracht. "Wir müssen uns doch jeden Abend zum Abendessen entsprechend anziehen, so ist es auf einem Schiff üblich", sagte er. Es kam dann ganz anders, einfache sportliche Kleidung reichte selbst für den Kapitänsempfang völlig aus.
Der erste Höhepunkt der Reise war die Fahrt durch den Bosporus und die Dardanellen. Die prächtigen Villen und Landhäuser am europäischen Ufer, dann natürlich das Goldene Horn mit der Galatabrücke, darüber die glänzenden Kuppeln der Hagia Sophia und der Blauen Moschee. Der Sultanspalast mit dem Serail, dem großen Harem des Paschas. Einfach märchenhaft! Aus einem älteren Reiseführer von Baedeker hatte ich mich schon vor der Reise eingehend informiert und wusste ganz gut Bescheid. Einen Aufenthalt in Istanbul hätten sich viele Mitreisende gewünscht, aber er war nicht eingeplant. Zahlreiche Fähren kreuzten die Wasserstraße, eine Brücke über den Bosporus gab es zu der Zeit noch nicht. Am asiatischen Ufer konnte man den großen Bahnhof der Bagdadbahn erkennen, den die deutsche Firma Philipp Holzmann vor 1918 gebaut hatte. Ich wunderte mich, in den Dardanellen noch deutsche Kriegsschiffe aus dem Ersten Weltkrieg zu sehen.
Der erste Hafen, in dem das Schiff anlegte, war die Stadt Alexandria in Ägypten. Mit Omnibussen ging es von dort aus durch die Wüste nach Kairo zu den Pyramiden von Gizeh. Es war für uns sehr überraschend, immer wieder von den Fremdenführern laut gerufen, den Namen "Rommel" zu hören. Selbst ihre Kamele hießen so, die uns auf schwankenden Rücken im Passgang bis zur Sphinx trugen. Der Zweite Weltkrieg lag noch nicht lange zurück, die Erinnerungen an die Deutsche Wehrmacht, Generalfeldmarschall Rommel und seine Wüstenfüchse, wie die deutschen Soldaten genannt wurden, waren in den Köpfen noch gegenwärtig. Im Ägyptischen Museum, die Fundstücke aus dem Grabschatz des Pharaos Tutanchamun im Original zu sehen, beeindruckte mich sehr. Für die damalige Zeit, in der ferne Länder wirklich fern waren, war dies eine absolute Traumreise. Natürlich hatte ich die Filmkamera dabei, filmte die Landausflüge und ausführlich das Leben auf dem Schiff und Bereiche, die für Passagiere nicht zugänglich waren, wie den Maschinenraum, die Kombüse oder die Brücke mit dem Steuermann und dem Kapitän. Die Weiterfahrt geht vorbei an der Südspitze von Italien durch das Adriatische Meer nach Albanien.
Am 23. Oktober erreichte das Schiff den Hafen von Durres, von wo aus sich ein Besuch in der Hauptstadt Albaniens, Tirana, anschloss. Die Reise endete wieder in Constanza. Alle wichtigen Stationen der Reise filmte ich, obwohl ich keinen Auftrag vom Fernsehen hatte und die Reise selbst finanzierte. Ich stellte aus dem Material einen Filmbericht zusammen, dem ich den Titel "Reise mit dem Traumschiff" gab. Nach dem Schnitt und der Endfertigung wurde der Film vom Fernsehen übernommen und gesendet. Er kam wohl genau zur richtigen Zeit. Weshalb, werde ich im Folgenden beschreiben.
Urlauberschiffe der DDR
DDR-Regierung und Staatsgewerkschaft FDGB planten um 1960 nach dem Vorbild der einstigen KdF-Schiffe (Abkürzung für die Nazi-Organisation "Kraft durch Freude"), Seereisen für Gewerkschaftsmitglieder, verdiente Funktionäre und Veteranen als Auszeichnung für gute Arbeit zu günstigen Preisen zu ermöglichen, um der Bevölkerung zu zeigen: "Bei uns geht es in vielerlei Richtungen voran." Insgesamt sollten fünf Urlauberschiffe auf DDR-Werften werden gebaut. Da ein solcher Neubau nicht schnell genug möglich war, ging man auf die Suche nach einem Passagierschiff und fand das Schiff "Stockholm" im Angebot einer schwedischen Reederei. Es war 1946 auf einer Werft in Göteborg gebaut worden und hatte 1956 traurige Berühmtheit erlangt: Am 25. Juli gab es einen Zusammenstoß mit dem italienischen Schiff "Andrea Doria", das daraufhin sank. Zahlreiche Todesopfer waren zu beklagen. Im Januar 1960 kaufte die DDR das schwedische Schiff für 17 Millionen D-Mark. Die erste Reise mit über 500 Urlaubern sollte im Februar 1960 beginnen.
Mein Film "Reise mit dem Traumschiff" von 1958 brachte mir Glück: Von der Redaktion wurde mir mitgeteilt: "Hirsch, Sie haben doch bereits eine gewisse Erfahrung auf diesem Gebiet, Sie begleiten als Filmreporter zusammen mit einem Redakteur für das Fernsehen der DDR die 'Völkerfreundschaft', wie das Schiff nun hieß, auf ihrer ersten Reise." Am 24. Februar 1960 verabschiedeten viele schaulustige Rostocker das Schiff. Am nächsten Tag passierten wir den Nord-Ostsee-Kanal und an der Schleuse von Brunsbüttelkoog stieg ich mit der Kamera aus, um das Schiff von außen aufzunehmen. In späteren Jahren musste dann um die Nordspitze Dänemarks herumgefahren werden, weil man fürchtete, DDR-Bürger könnten im Nord-Ostsee-Kanal die Gelegenheit zur Flucht nutzen. Zwei Tage später, der Ärmelkanal lag hinter uns, empfing uns die Biskaya mit heftig bewegter See.

Trotzdem drehten wir außen und innen das Leben an Bord: Harte Arbeit im Maschinenraum bei einer Temperatur von 45 Grad , um Mitternacht die Wachablösung auf der Brücke. Großes Staunen der Urlauber gab es über das reichhaltige Angebot im Speisesaal mit viel frischem Obst, sogar Lachs und Kaviar, das sich von den übrigen HO-Speisekarten recht deutlich unterschied. Die Vorräte auf dem Schiff stammten zum großen Teil noch aus Schweden. Sogar englische und schwedische Bibeln lagen noch in den Nachttischen. Im Kinosaal mit 180 Plätzen zeigte ich meinen Film "Reise mit dem Traumschiff Transilvania" als 16-mm-Kopie.
Unterdessen waren wir durch die Meerenge von Gibraltar und an Tunis vorbei bis nach Rhodos gekommen. Beim ersten Landgang ging es nach dem Ausbooten auf die frühlingsgrüne Insel mit den charakteristischen Windmühlen an der Hafenmole, während von der Statue des "Koloss von Rhodos", der im Altertum breitbeinig über der Hafeneinfahrt gestanden haben soll, keine Spur mehr zu sehen war. Jetzt dort stehen auf zwei Säulen antike Bronzehitrsche, das Wappentier der Insel. Der großartige Palast der Kreuzritter ist hingegen restauriert worden. Der Besuch auf der Sonneninsel war leider zu kurz, um noch mehr Sehenswürdigkeiten kennenzulernen. Einen Tag später waren wir schon im Hafen von Piräus und filmten die DDR-Urlauber beim Besuch der Akropolis.
Viel zu schnell endete die beeindruckende erste Reise der "Völkerfreundschaft" nach 5.300 Seemeilen im Hafen von Constanza am Schwarzen Meer, den ich schon von meiner Reise mit der "Transilvania" kannte. Die Filmausrüstung bestand aus 14 Gepäckstücken. Da ich ohne Kamera-Assistent arbeitetete, half mir der Redakteur vom Fernsehen, der eigentlich nur für den Text zuständig war, beim Verladen. Es war eine großartige Reise und zu dieser Zeit ein ganz besonderes Erlebnis.
Eine private Reise mit der "Völkerfreundschaft"
Zehn Jahre später unternahm meine Frau Cornelia und ich mit diesem Schiff vom 14. November bis zum 16. Dezember 1970 eine private Reise nach Kuba. Da oft Plätze auf dem Schiff frei blieben, konnten wir uns zum vollen Preis darum bewerben und nach den umfassenden Prüfungen unserer Zuverlässigkeit erhielten wir die Reise zugesprochen. Bei der Einschiffung in Rostock rief jemand unseren Namen. Es war ein Freund und Kollege, den wir von Filmarbeiten her kannten, mit seiner Frau. Welch freudige Überraschung! Es begann eine feucht-fröhliche, wenn auch ziemlich lange 13-tägige Überfahrt ohne Zwischenstopp. Nur aus der Ferne zeigten sich die grünen Terrassen der Azoren. Nun wussten wir wenigstens, wo das schöne Wetter immer herkommt, wenn vom "Azoren-Hoch"gesprochen wird. Die Tage vergingen wie in dem bekannten Film "Das Narrenschiff", nur unterbrochen von einem Ereignis in der Meeresstraße von Florida vor Key West: Beim Frühstück ertönte aus den Lautsprechern: "Mann über Bord!". Alle dachten an ein Manöver. Plötzlich, aus der vollen Fahrt heraus, wendete das Schiff. Einige nicht befestigte Stühle rutschten durch den Speisesaal, so groß war die Zentrifugalkraft. Vier junge Männer hatten die Gelegenheit genutzt, in die Freiheit zu gelangen und sprangen aus zwölf Metern Höhe von Bord. Die Flucht war gut vorbereitet und sie wurden bald von einem bestellten Boot aufgenommen, nur die Rettungsringe leuchteten aus der Ferne. Über allem kreiste ein kleines Flugzeug, aus dem heraus die gelungene Flucht gefilmt wurde, die dann schon am nächsten Abend in der "Tagesschau" zu sehen war.
Im Hafen von Havanna angekommen, empfingen uns heiße kubanische Rhythmen. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation - sah es doch im Vergleich zur DDR mit der Versorgung sehr traurig aus - begegneten uns fröhlichen Menschen. Im Freiluft-Revuetheater "Tropicana", einem Ort der Musik und des Tanzes, spürte man nichts von der Mangelwirtschaft.
Vom Hotel in Varadero startete eine Rundreise zur Schweinebucht, wo die kubanische Revolution ihren Ausgang genommen hatte. Besonders beeindruckte uns das Haus von Ernest Hemingway, welches nach seinem Selbstmord unverändert belassen war. Wir konnten es nur von außen durch die Fenster besichtigen.
Die Rückreise ging infolge der Flucht nicht über die Bahamas, sondern in einem großen Bogen weiter südlich an vielen Inseln vorbei, und wir erfuhren nicht mehr, wo sich das Schiff im ausgedehnten Atlantischen Ozean gerade befand. In der Nordsee angekommen, bei der Durchfahrt durch den Großen Gürtel leuchteten die Lichter von Nyborg und Korsør ganz in der Nähe. Kleine Boote fuhren dicht an die "Völkerfreundschaft" heran, es hätte sich dadurch vielleicht noch eine weitere Gelegenheit zur Flucht ergeben können. An Deck patrouillierten die Hälfte der Besatzungsmitglieder in Ledermänteln, und eine große Abschiedsparty war zur Ablenkung angesetzt.
Trotz mancher Probleme auf diesen Reisen war für viele DDR-Bürger und auch für uns ein Urlaub auf der "Völkerfreundschaft" ein unvergessliches Erlebnis. Nach vielen Fahrten verkaufte die DDR 1985 das Schiff. Heute fährt es auf den Weltmeeren nach mehrfachen Besitzerwechseln und Namensänderungen seit 2016 als "MS Astoria". Es ist damit das älteste Transatlantik-Schiff der Welt, das sich noch im Einsatz befindet.
Reportage von der ersten Reise mit der "Fritz Heckert"
Das erste auf einer DDR-Werft gebaute Urlauberschiff wurde im November 1959 in Wismar auf Kiel gelegt. Zum Bau des Schiffes trugen zusätzliche Leistungen in der Industrie und mit über 30 Millionen Mark Spenden aus der Bevölkerung bei. Nach dem Stapellauf im Juni 1960 erhielt das Schiff den Namen "Fritz Heckert".Heckert war ein Gewerkschaftsfunktionär und Mitbegründer des Spartakusbundes und der Kommunistischen Partei Deutschlands und lebte bis 1936. Am 1. Mai 1961 lief das Schiff aus dem Wismarer Hafen zur Jungfernfahrt aus. Erneut wurde ich vom Fernsehen auf diese erste Fahrt mitgeschickt, um von der Reise zu berichten, hatte ich mich doch durch die zwei vorhergegangenen Filme zum Thema Schiffsreisen gewissermaßen als "Schiffsfilmexperte" ausgewiesen. Diesmal ging die Reise kreuz und quer durch die Ostsee. Zuerst durch die Danziger Bucht nach Gotland, vorbei am Hauptort Visby. Erste Station mit Landgang war Helsinki. Die finnische Hauptstadt bot während einer Stadtrundfahrt interessante Motive, zum Beispiel das Olympiastadion, und am Abend einen Empfang der DDR-Touristen auf Einladung von Gewerkschaftern in einem Arbeiter-Kulturhaus. Wir kamen ja in eine "westlichen" Stadt; die Schaufenster der Geschäfte und die abendliche Lichterfülle beeindruckten uns ebenso, wie am nächsten Tag die Fischweiber auf dem alten Markt, die sich mit lauter Stimme gegenseitig überboten, sowie die Soldatinnen der Heilsarmee in ihren schmucken Uniformen, die wir noch nie gesehen hatten. In einem ganz neuen, sehr modernen Stadtteil war die Bauweise für uns schockierend und ungewohnt. Leningrad mit seinen bekannten Sehenswürdigkeiten filmten wir nur kurz, war unser Thema doch das Schiff: Die Decks mit verschiedenen Sportmöglichkeiten, ein Schwimmbad, einige der Kabinen für die 369 Passagiere, die Brücke mit dem Kapitän, die Mannschaftsräume und der Maschinenraum. Die "Fritz Heckert" wurde als einziges Passagierschiff von sogenannten Gasturbinen angetrieben, die in Dresden entwickelt und gebaut wurden. So ergaben sich vielfältige Motive, die wir in Riga, der letzten Station der Reise, noch ergänzten. In der Rigaer Bucht erlebten wir eine aufregende Situation: Das Schiff war auf eine Sandbank aufgelaufen, konnte sich aber dank der starken Gasturbinen selbst befreien.
Am Panzerkreuzer "Aurora" in Leningrad
Seit 1948 stand auf dem Marktplatz von Eisleben ein Lenin-Denkmal, das eine besondere Geschichte hatte. Das Denkmal war 1941, nach dem Beginn der Blockade von Leningrad, aus der Stadt Puschkin in die Kupferhütte Mansfeld gebracht worden. In einem Schrottaufen versteckt und so vor dem Einschmelzen aufbewahrt, blieb es nach dem Kriegsende in Eisleben.
1959 wurde beschlossen, ein Thälmann-Denkmal als Geschenk der DDR in der Stadt Puschkin, das durch die berühmten Zarenschlösser und Gartenanlagen des Katharinenpalastes bekannt ist, aufzustellen. Die feierliche Übergabe des Denkmals erfolgte am 8. Mai 1960. Alles sollte in einem Film dokumentiert werden. Wir begleiten die Delegation von Mansfelder Bergarbeitern und Parteifunktionären aus Halle, unter ihnen die Witwe Ernst Thälmanns, Rosa Thälmann. Im Programm der Reise stand auch ein Besuch des legendären Panzerkreuzers "Aurora", der 1917 mit einem Schuss das Signal für den Beginn der russischen Revolution gegeben hatte.

Eine Aufnahmereise für den Film "Majestät brauchen Sonne"
Viele Jahre später, die DDR war längst Geschichte und freie Reisen unterdessen selbstverständlich, ergab sich für den Film "Majestät brauchen Sonne" zusammen mit dem Regisseur Peter Schamoni erneut eine Arbeitsreise auf einem Schiff. Darüber werde ich in einem späteren Kapitel ausführlich berichten.
Der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II., genannt der "Reisekaiser", mit Marineleidenschaft unternahm mit seinem eigenen Schiff, der Yacht "Hohenzollern", monatelange Reisen im Mittelmeer, die meist in Venedig begannen. Für Aufnahmen zu diesem Film in der Adria und im jordanischen Meer fuhren wir im Oktober 1997 nach Venedig, um von dort mit dem neuen, erst 1996 erbauten Passagierschiff "Costa Victoria", einem schwimmenden Grand-Hotel mit 12 Decks und 960 Kabinen für 2.400 Passagiere, zu starten. Überwältigender Auftakt der Reise war die Fahrt im Zeitlupentempo durch den Giudecca-Kanal. Vorbei am Markusplatz schauten wir vom obersten Deck des haushohen Schiffes, ganz so, wie das schon Kaiser Wilhelm II. vom Deck der "Hohenzollern" aus sah. Sehr oft war das Reiseziel des Kaisers im Mittelmeer die Insel Korfu, wo er aus dem Nachlass der Kaiserin Sissi 1905 den Palast Achilleion gekauft hatte. Davon gibt es viele historische Filmaufnahmen, aber wir drehen auch neue Szenen - Bilder, wie es auf Korfu heute aussieht. Lustig war es, dort eine Musikergruppe in historischen preußischen Uniformen zu treffen, die Marschmusik und Berliner Gassenhauer aus Kaisers Zeiten spielte. Stationen unserer Reise waren weiterhin die antiken Sportstätten von Olympia, die Meteora-Klöster und Athen mit der Akropolis. Am 26. Oktober 1997 endete die Reise wieder in Venedig und damit auch das Kapitel meiner Schiffsreisen.
Mehr von und über Ernst Hirsch
In der nächsten Woche setzten wir die Autobiografie fort, dann lesen Sie mehr über die Boheme am Elbhang.
Das vorangegangene Kapitel über Hirsch und seine ersten Reisen mit dem Fahrrad können Sie HIER nachlesen. Zum Start der Serie klicken Sie HIER.
In der Mediathek der SLUB sind viele Filme aus der Sammlung von Ernst Hirsch bereits digitalisiert.